Kommentar: Killerspiele, Internetsperren und Parteipiraten

Wer unserer kleinen Seite schon länger folgt, weiß, dass wir schon öfter mal einen Kommentar zum Thema „Killerspiele“ verfasst haben.

Und jetzt ist also dieses Gesetz zur Sperrung bestimmter Internetseiten schnell durch den Bundestag gepeitscht worden. Vordergründig geht es dabei darum, sogenannte „Kinderpornos“ zu sperren. Zweifellos ein begrüßenswertes Ziel, das unser aller Unterstützung verdient. Allein die Mittel scheinen zweifelhaft, und die dabei geweckten Begehrlichkeiten gefährlich. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

2009 ist ein sogenanntes „Superwahljahr“: Bundestagswahl, Europawahl, diverse Landtags- und Kommunalwahlen, da braucht man als Partei schon mal ein griffiges Thema. Am besten eins, bei dem man nichts falsch machen kann. Steuerpolitik ist nicht wirklich spannend, und Umweltthemen reizen die mehr oder weniger mächtigen Lobbyisten. Also brachte im Frühjahr Ursula von der Leyen (CDU), als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für den Jugendschutz verantwortlich, das Thema Internetsperren gegen Kinderpornografie auf die Titelblätter der Zeitungen.

An und für sich klingt das ja nach einer guten Idee: Wir stellen kleine Stoppschilder ins Internet, und keiner kann mehr aus Versehen diese üblen Machwerke betrachten. Und es gibt ja auch schon Beispiele für eben solche Sperren. Wen stört es da schon, wenn die Erfahrungen in Schweden und anderen skandinavischen Ländern eher ernüchternd sind?

Leider lief dann beim Gesetzentwurf einiges aus dem Ruder: Das Bundeskriminalamt (BKA) sollte die Sperrlisten erstellen – kontrollieren sollte die niemand. Schließlich haben wir ja gerade in Deutschland in der Vergangenheit „gute“ Erfahren mit Polizei- und anderen Diensten gemacht, wenn sie sich außerhalb rechtsstaatlicher Kontrollinstanzen bewegten. Auch die angedachten Mittel, eben die plakativen Stoppschilder und die dahintersteckende DNS-Sperre erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht besonders wirksam, wie unter anderem ein 27 Sekunden langes YouTube Video zeigt.

Rasch sammelte sich eine Schar Gegner, und es wurde eine Petition formuliert, die in kürzester Zeit alle bisheriger Unterzeichnerzahlen in den Schatten stellte. Anfangs leistet sich unser Wirtschaftsminister, Herr zu Guttenberg (CSU), noch einen kleinen Faux Pas. Als Zwischenspiel gab es, sozusagen als kostenlose Zugabe, noch ein kleines Lehrstück zum Thema „Meinungsmache durch Meinungsumfragen“: Je nach Fragestellung waren einmal 92% der Befragten für die Internetsperren, mal 90% dagegen.

Inzwischen geschah noch etwas Schreckliches: Tim K., ein junger Mann aus Winnenden in Baden-Württemberg, stiehlt seinem Vater Waffe und Munition und geht auf Menschenjagd. Rasch wurde bekannt, dass der Täter wohl in psychiatrischer Behandlung war und dass der Vater gesetzeswidrig sowohl Waffe als auch Munition nicht verschlossen aufbewahrte, sondern mehr oder minder offen in der Wohnung herumliegen ließ.

Die Politik begann sich zu bewegen: Ein schärferes Waffenrecht wurde angedacht, über ein Verbot von Paintball geredet. Aber es passierte das wohl Unvermeindliche: Tim K. hatte „Counterstrike“ auf der Festplatte seines PCs und am Abend vor der Tat „Far Cry 2“ gespielt. Schlagartig verlagerte sich die Debatte: vom verschärftem Waffenrecht blieb nur wenig übrig, dafür rückten die bösen Spiele in den Fokus. Auch wenn es besonnen Stimmen gibt, wie die von  Jörg Tauss, die Innenministerkonferenz forciert ein Verbot von „Killerspielen“, der bayrische Innenminister stellt „Killerspiele“ und „Kinderpornos“ gar auf eine Stufe, und der Kreis schließt sich.

Sofort kommt ein CDU-Abgeordneter auf die Idee, den geplanten Internetfilter gegen „Kinderpornos“ auf „Killerspiele“ auszudehnen, und auch Musikindustrietycoon Dieter Gorny streckt schon mal seine Fühler aus.

Ach ja:

Am Ende hatten 134.014 Menschen die oben erwähnte Petition gegen Internetsperren unterzeichnet, und bei Teilen der SPD regte sich Widerstand, z.B. bei Thorsten Schäfer-Gümbel. Ja, es wurde sogar eine Art Kontrolle im Gesetzentwurf untergebracht, auch wenn der dafür ausgesuchte Bundesdatenschutzbeauftragte damit überhaupt nicht einverstanden ist.

Bei der Europawahl erreicht eine kleine Partei in Schweden 7,1% der Stimmen und darf einen Abgeordneten nach Brüssel entsenden, bei uns bekommt die „Piratenpartei“ immerhin fast 1% der Stimmen.

Jetzt ist das Gesetz mit den Stimmen von SPD und CDU beschlossen worden, trotz aller Einwände.

Zum schlechten Schluss lasse ich noch einmal Frau von der Leyen aus einem Radiointerview zu Wort kommen:

Wir wissen, dass bei den vielen Kunden, die es gibt, rund 80 Prozent die ganz normalen User des Internets sind. Und jeder, der jetzt zuhört, kann eigentlich sich selber fragen: Wen kenne ich, wer Sperren im Internet aktiv umgehen kann? Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent. Die sind zum Teil schwer Pädokriminelle. Die bewegen sich in ganz anderen Foren. Die sind versierte Internet-Nutzer, natürlich auch geschult im Laufe der Jahre in diesem widerwärtigen Geschäft.

Wer sich also besser im Internet auskennt als Frau von der Leyen oder einer Ihrer Bekannten ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein pädophiler Krimineller? Jedenfalls sind dann Brigitte Zypries, unsere Justizministerin, und einige andere Kollegen von jedem Verdacht befreit („Was sind jetzt noch mal Browser?“)

Wenn es nicht so traurig wäre, dann müsste man laut lachen…