Jets 'n' Guns

Maschinen, Munition, Weltraum, Heavy Metal. Der miefige Geruch eines von der Sommerhitze aufgeheizten und ungelüfteten Jugendzimmers. Das fahle Flimmern eines Bildschrims. Das nervöse Klackern eines Joypads. Die klebrige Anhänglichkeit eines durchgeschwitzen T-Shirts. Dies sind die guten Zutaten, aus denen die Zockernächte unserer Jugend gemacht sind. Erinnerungen werden wach: es weht eine Retrobrise bei macinplay.de, denn der Test von »Jets ’n‘ Guns« steht an.

»Jets ’n‘ Guns«. Man lasse sich diesen Namen auf der Zunge zergehen. Selten hatte ich bei einem Videospiel so ausgeprägt das Gefühl, genau das zu bekommen, was mir der Titel verheißt. Und noch seltener ist genau das passiert. »Jets ’n‘ Guns« ist einer dieser seltenen Fälle. Einerseits erfreulich, denn so habe ich nicht das Gefühl, einem leeren Versprechen aufgesessen zu sein. Andererseits hat die Sache auch einen fahlen Beigeschmack, denn bald stelle ich fest, dass mich das Spiel nicht zu überraschen vermochte. Jedenfalls nicht in diesem Zusammenhang.

Die volle Breitseite

Kaum ist das Spiel gestartet, kracht es gewaltig aus den Lautsprechern. Der professionell eingespielte Metal-Soundtrack setzt ein und mäht meine Hörnerven binnen kurzer Zeit auf das Niveau eines Gras-Tennisplatzes nieder. Und das soll erst der Anfang sein. Erwähnte ich eigentlich schon, dass sich mir bei Metal die Zehennägel hochrollen? God bless the Lautstärkeregler of my Boxen! Auch visuell trägt »Jets ’n‘ Guns« von Anfang an eine zentimeterdicke, pastose, schrille Effektschicht auf. Im Vorspann ziehen kleine Raumschiffchen vor farbgewaltiger Spacekulisse eindrucksvolle Abgasschwaden hinter sich her. Klotzen statt kleckern. Barocker Bombast statt modernem Minimalismus. Wegschauen statt hingucken kann ich mir als Spieler leider nicht erlauben…

Also nehme ich mir einen Spachtel und versuche, Schicht um Schicht der Effekt- und Soundpatina abzutragen. Nach einiger Arbeit stoße ich auf eine hauchdünne Story – ich hätte sie fast übersehen. »Jets ’n‘ Guns« ist eine große Rettungsmission. Es gilt, den ebenso genialen wie naiven Wissenschaftler Doktor Hamburger aus den Fängen böser shizophrener Weltraumpiraten zu retten. Hamburger hat vor seiner Entführung an der Erforschung seiner letzten großen Erfindung gearbeitet, einer kilometerlangen Quanten-Kanone, die mal locker das ganze Universum in sich zusammenfallen lassen kann – wenn sie denn in die falschen Hände gerät.

Weil mir vor lauter Freizeit die Decke auf den Kopf fällt, stürze ich mich Hals über Kopf in das Abenteuer der großen Rettungsmission. Kaum habe ich mich dazu entschieden, kann ich den Spachtel auch wieder einstecken, denn im Folgenden geht es hauptsächlich nur noch um eines: Alles in die Luft jagen, was sich bewegt. Und das ist okay so, denn schließlich erwartet man von einem Arcade-Actiongame auch nichts anderes. Schon gar nicht von einem, das »Jets ’n‘ Guns« heißt. Ich finde mich in einem schillernd buntem Universum wieder und habe ein kleines, etwas merkwürdig proportioniertes Schiff unter meiner Kontrolle, das beim Druck auf die Feuertaste ganz schön losballert. Wie in Horizontalscrollern üblich, bewegt sich das Bild automatisch von Rechts nach Links, mit gelegentlichen Ausreißern nach oben und unten. Bald kommen die ersten Gegner ins Bild – zunächst nur von rechts, später auch von oben und unten, bald von hinten. Am unteren Bildrand entdecke ich zwei Anzeigen: ein Thermometer zeigt mir die aktuelle Temperatur meiner Waffensysteme an. Wenn ich zu lange mit Dauerfeuer durch den Level fliege, muß ich mit der Überhitzung meiner Waffen rechnen, die in diesem Fall sofort eine Zwangspause einlegen. Die zweite Anzeige informiert mich über den aktuellen Zustand meiner Schutzschilde. Sinkt sie auf null, darf ich schon bald die wunderschöne Explosion meines kleinen Raumschiffs bestaunen. Anschließend muss ich den Level in der Regel wieder ganz von vorne anfangen, denn Rücksetzpunkte sind äußerst spärlich in den Levels verteilt.

Tausend Tode musst Du sterben…

Überhaupt ist der Schwierigkeitsgrad des Games happig geraten. Die raren Rücksetzpunkte tragen ihren Teil dazu bei, erschwert durch die Tatsache, dass beim Passieren eines solchen Punktes der aktuelle Zustand meiner Schilde mit gesichert wird. Die wenigen Rücksetzpunkte werden so zu einer eher ambivalenten Angelegenheit. Der ständig auf dem Bildschirm wabernde Grafik & Effektoverkill erschwert es mir ungeheuerlich, die Übersicht zu behalten. Gegnerische Raumschiffe explodieren im Dutzend in schillernden Explosionen und stürzen sodann qualmend zum unteren Bildschirmrand. Währenddessen schiebt sich z.B. eine grüne Nebelfront zwischen die Mattscheibe, mein kleines Schiffchen und den orangenen Weltraum, zeitgleich kommen neue, gegnerische Schiffe auf den Schirm und ballern, was das Zeug hält – einige davon mit leuchtender, neongelber Munition, alles in ziemlich hoher Geschwindigkeit. Viele der Gegner lassen sich, im Gegensatz zu den meisten anderen Horizontal-Shootern, nur durch länger andauernden Beschuss zerstören. Um es auf den Punkt zu bringen: Es ist unmöglich, einen Level in diesem Spiel zu meistern, in dem ich nicht vom Gegner getroffen werde. Die Schutzschilde werden somit auch schneller instabil als mir lieb ist – so viele Tode hintereinander musste ein von mir gesteuertes Raumschiff schon lange nicht mehr sterben. Fairerweise gibt es kein ›Game Over‹ im klassischen Sinne, denn nach jedem Verlust eines Schiffes darf ich im gleichen Level weitermachen.

Hirn vs. Hektik

Als ich es schließlich trotz des ganzen hektischen Treibens geschafft habe, einen Level zu meistern und es eigentlich kaum erwarten kann, mich in die nächste Regenbogen-LSD-Effektorgie zu begeben, muß ich eine Zwangspause einlegen. Im spielinternen Shop darf ich nun das Gold, das ich im Level aufgesammelt habe, in Rüstung investieren. Es gilt nun, das Schiff mit besseren Waffensystemen auszustatten oder die bestehenden Waffensysteme in leistungsfähigere Level auszubauen. Dabei muß ich nachdenken – und bin mir nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt noch will. Hey, mein Hirn ist auf Ballern eingestellt! Ich bin aufgepumpt mit Adrenalin, will wieder zu den schillernden Farben, zu der kreischenden Musik, ich will in Trance meine Finger über die Tastatur meines Macs fliegen lassen und durch wummernde Explosionen die Wände meiner Wohnung zum Vibrieren und mein Hirn zum Schmelzen bringen!

Es ist mir ein Rätsel, wie man auf die Schnapsidee kommen kann, ein so reißerisches, furioses und geradliniges Actionspektakel durch eine strategische Komponente, wie dieses lahme Shopsystem, aufwerten zu wollen. Der Einstieg in die sogenannte »Zone« will einfach nicht gelingen, weil ich ständig aus dem schnellen Spielfluß gerissen werde. Der Shop ist übrigens nur die Spitze des Eisbergs. Jedes Mal, nachdem mein Schiff zerstört wurde, muss ich mich über zwei Bildschirme klicken, bis ich einen neuen Versuch starten darf. Nach jedem bestandenen Level muss ich selbstständig meinen Spielstand sichern. Besser wäre es gewesen, mich vor Beginn des Spiels einen Speicherslot anlegen zu lassen, in dem das Spiel dann selbstständig den aktuellen Spielstand sichert. Diese ständigen Slow-Downs im Spielfluss nerven mich gewaltig und sind – in Anbetracht der Qualität des sonstigen Spiels – ärgerlich.

Das shopbasierte Waffensystem führt auch zu dem absurden Umstand, dass spätere Level leichter zu meistern sind als die Anfangslevel – wenn ich mein Schiff ersteinmal mit dem fettesten Kühlsystem und den dicksten Wummen ausgestattet habe, kann ich dauerfeuernd und einigermaßen arglos durch die Level fliegen.

Performancewunder

Berücksichtigt man die grafische und akustische Opulenz des Spiels, ist es mehr als erstaunlich, dass das Game auch auf älteren Macs anstandslos zu laufen scheint. Rakeingrass geben auf Nachfrage an, dass in eurem Rechner mindestens ein mit 800 Mhz getakteter PPC-Prozessor stecken sollte. Auf keinem meiner Testrechner gab es Performanceprobleme, die Demo des Spiels konnte in der Redaktion sogar auf einem Cube gespielt werden – wir erinnern uns: das ist der schöne, kleine und innovative Rechner, der vor vier bis fünf Jahren gewaltig floppte. Alle, die neuere Hardware als einen Cube besitzen, sollten bedenkenlos zugreifen können.

Fazit:

Vor zehn bis dreizehn Jahren wäre »Jets ’n‘ Guns« der Spiel gewordene, feuchte Traum des mitten in der pubertären Sturm- und Drang-Phase steckenden Teen-Videospielnerds gewesen. Es hat alles, was ›Mann‹ damals von einem Actionkracher erwartet hätte und ist heute ein Kosmos, der sämtliche Klischees bedient, die gemeinhin in einem Videogame erwartet werden. Leider bietet es deswegen für Videospielveteranen kaum Überraschungen. Stattdessen wärmt »Jets ’n‘ Guns« dagewesenes auf und überzieht es mit einem dicken, klebrigen Guss aus wahnwitzigen Grafikeffekten, kreischender Musik, Blut, Gore und heftigem Sound. »Jets ’n‘ Guns« ist absolut konservativ, darüber hinaus mit Mängeln behaftet und schrill bis zur Penetranz – aber es steht als Genrevertreter auf dem Mac absolut alleine da. Die acht Punkte verstehen sich daher als Wertung aus Mangel an Alternativen. Auf dem Mac gibt es aktuell leider keinen besseren Vertreter des Genres. Wer die große Ära der seitwärts scrollenden Shoot ‚em Ups verpasst hat, kann zuschlagen. Wer wissen will, warum es sich lohnt, ab und zu auf der alten Konsole die Klassiker zu spielen, auch.

Verfügbarkeit

Zu haben ist das Produkt bei Rake in Grass oder im Mac App Store.

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Bilder (klicken für mehr)

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